Vergessene Künste?

In unserer Konsumgesellschaft kann fast jeder Gebrauchsgegenstand aus Kunststoff hergestellt werden.

In großen Fabriken überwachen Maschinenaufseher die Produktion, ohne eine innere Beziehung zu den Produkten zu finden; es ist eben ein “Job“. So hergestellte Gegenstände sind meist funktionell, aber hässlich. Die Schönheit eines Produktes beruht auf der Kombination natürlicher Materialstrukturen mit dem Können und der sorgfältigen, oft liebevollen Bearbeitung durch einen Handwerker. Heute kaufen viele Menschen wieder Gegenstände, die von Handwerkern hergestellt werden; Gegenstände, die neben ihrer Funktionalität auch schön sind, die in gewisser Weise Lebensqualität vermitteln, sind wieder gefragt.

Natürlich haben solche Waren ihren Preis, auch wenn die Handwerker heute selbstverständlich moderne Maschinen einsetzen. Ob als Schmuck oder Gegenstand des täglichen Gebrauchs, solche Waren werden viel mehr geschätzt und nicht wie die modernen Plastikwaren nach kurzer Gebrauchszeit wieder weggeworfen.

Auf dem Zunftmarkt in Bad Wimpfen versuchen die Handwerker möglichst mit alten Werkzeugen und Fertigungsmethoden, dem Besucher ihr Handwerk nahe zu bringen. Dies kann natürlich nur ein unvollkommenes Bild aus alter Zeit sein; eine wesentliche Beziehung fehlt heute das Zusammenwirken verschiedener Handwerkszünfte, ihre frühere Abhängigkeit voneinander die ehemals auf dem Land geherrscht hat.

Um sein Handwerk ausüben zu können, war jeder Handwerker auf andere Handwerker angewiesen. Ein Fischer war beispielsweise vom Bauern abhängig, der Flachs für seine Netze anbaute, vom Netzknüpfer, der seine Netz herstellte, vom Korbflechter, der seine Reusen fertigte, und vom Bootsbauer. Der Bootsbauer wiederum war abhängig vom Schmied, der Anker, Ketten, Werkzeuge und viele andere Dinge für den Bootsbau schuf, vom Holzfäller, der das für die Boote benötigte Holz fällte, vom Sägewerker, der es zu Brettern sägte, vom Ölmüller, der Leinöl presste, welches das Holz schützt, von den Flachsspinnern und Webern, die das Leinen für die Segel herstellten, vom Segelmacher, der das Segel nähte, vom Seiler, der das Tauwerk lieferte – und so weiter. All diese Handwerker kannten einander vermutlich. Jeder konnte zu seinem Lieferanten gehen und mit ihm genau besprechen, was er brauchte. Jeder von ihnen sah nicht nur seinen eigenen Bereich, er sah Anfang und Ende dessen, was geschaffen wurde; er sah das Gesamtwerk, nicht nur den Teil, der ihn und sein Handwerk anging. Die heutigen Handwerker leben wegen des steigenden Interesses an ihren Produkten teilweise recht gut, sie sind aber isoliert. Sie aber sind immer noch viel besser dran als die Arbeiter an den Bändern in den Fabriken, die nur noch einen Arbeitsgang bewältigen und das Gesamtwerk nicht mehr sehen, die nur noch Knöpfe drücken und Steuerprogramme ablaufen lassen und eine teilweise langweilige, doch stressige Arbeit verrichten.

Viele alte Handwerkskünste gerieten im Laufe der Zeit im Vergessenheit heute werden sie zum Teil von interessierten und engagierten Menschen wieder entdeckt und zu neuem Leben erweckt.

Wenn der Wimpfener Zunftmarkt mit seinen Handwerkern dieses Interesse an seine Besucher weitergeben kann, ihren Sinn für diese oft vergessenen Künste anregt, dann hat er einen wichtigen Zweck erfüllt; denn er zeigt, was Lebensqualität sein kann: nicht im Überfluss verschwenderisch hausen, sondern mit schönen Dingen leben.

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